Wichtige BAG-Entscheidungen 2024: Relevante Urteile für Betriebs- und Personalräte

In den letzten 12 Monaten hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) erneut eine Reihe wichtiger Urteile und Beschlüsse erlassen, die für eure tägliche Betriebs- und Personalratsarbeit von großer Bedeutung sind. Hier erhaltet ihr einen Überblick über die wichtigsten Entscheidungen, die zentrale Themen wie Mitbestimmung, Arbeitsrecht und die Rechte der Beschäftigten betreffen und direkten Einfluss auf eure Arbeit als Interessenvertretung haben. Es ist daher entscheidend für eure Arbeit, über die aktuellen Entwicklungen informiert zu bleiben, um sowohl eure eigenen Rechte als auch die Rechte und Interessen der Beschäftigten effektiv vertreten zu können.

Keine Pflicht zur Webinar-Teilnahme für Betriebsräte

Habt ihr eine Schulung gefunden, an der ihr gerne teilnehmen möchtet? Diese wird sowohl als Präsenzveranstaltung als auch als Webinar angeboten – ihr habt die Wahl! Präsenztermine sind oft teurer, da zusätzliche Kosten wie An- und Abreise, Unterkunft und Verpflegung anfallen. Diese Kosten entfallen bei einem Webinar. Allerdings bietet ein Webinar möglicherweise weniger Möglichkeiten, sich persönlich kennenzulernen und Netzwerkarbeit zu leisten. Es gibt also verschiedene Aspekte, die abgewogen werden sollten. Es kann sein, dass der ein oder andere Arbeitgeber darauf drängt, das günstigere Webinar zu wählen. Doch laut einem BAG-Urteil vom 7. Februar 2024 (AZ: 7 ABR 8/22) habt ihr das Recht, auf Kosten des Arbeitgebers an einer Präsenzschulung teilzunehmen, auch wenn eine kostengünstigere Webinar-Variante zur Verfügung steht.

Wir haben für euch einen Leitfaden zur Beschlussfassung über Schulungs- und Bildungsveranstaltungen zusammengestellt, der euch bei der Entscheidungsfindung und der Formulierung von Beschlüssen unterstützt.

Diesen Leitfaden findet ihr im Downloadbereich.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Februar 2024, Az. 7 ABR 8/23; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 24. November 2022, Az: 8 TaBV 59/21

Betriebsratswahl auch bei zu wenigen Kandidaten gültig

Das BAG hat entschieden, dass eine Betriebsratswahl auch dann nicht unwirksam ist, wenn sich weniger Kandidaten für das Amt zur Verfügung stellen, als eigentlich erforderlich sind. In einem Fall, bei dem sich nur drei Mitarbeitende für einen Betriebsrat in einem Betrieb mit rund 170 Angestellten beworben hatten, wurde der Betriebsrat dennoch als gültig anerkannt. Die Größe des Betriebsrats ist grundsätzlich in § 9 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) festgelegt. Danach richtet sich die Zahl der Betriebsratsmitglieder nach der Anzahl der wahlberechtigten Beschäftigten: Für Betriebe mit 101 bis 200 Mitarbeitenden sind sieben Mitglieder vorgesehen.

Der Arbeitgeber hatte in diesem Fall die Wahl für ungültig erklärt, weil nur drei Bewerber für die sieben Plätze zur Verfügung standen. Das BAG entschied jedoch, dass auch ein „kleinerer Betriebsrat“ zulässig sei, wenn nicht genügend Kandidaten vorhanden sind. Das Gericht argumentierte, dass das Gesetz in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG grundsätzlich die Wahl eines Betriebsrats auch bei einer geringeren Zahl an Bewerbern ermögliche, solange die Zahl der wählbaren Mitarbeitenden ausreiche.

Das BAG stellte außerdem klar, dass bei einer solchen Situation die Betriebsratsgröße nach unten angepasst werden müsse, um sicherzustellen, dass die Zahl der Mitglieder mit der Zahl der Bewerber übereinstimmt. Dabei wird die Betriebsratsgröße auf die nächstniedrigere Stufe des § 9 BetrVG reduziert, solange eine ungerade Zahl an Mitgliedern für die Wahl ausreicht. Ziel ist es, einen funktionierenden Betriebsrat zu gewährleisten, auch wenn nicht alle vorgesehenen Sitze besetzt werden können.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24. April 2024, Az. 7 ABR 26/23

 

Urlaubsansprüche nach Elternzeit: Keine Kürzung bei Abgeltungsanspruch

Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses und dem anschließenden Ablauf der Elternzeit kann der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch eines Mitarbeiters nicht mehr kürzen, um eine Urlaubsabgeltung zu verhindern. Laut dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) ist eine Kürzung des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers nur im Zusammenhang mit dem sogenannten „Erholungsurlaub“ zulässig. Sobald der Urlaubsanspruch jedoch in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt wurde, ist eine Reduzierung dieses Anspruchs ausgeschlossen.

Das bedeutet, dass Arbeitnehmer, deren Urlaubsanspruch nach der Elternzeit bereits in eine finanzielle Abgeltung übergegangen ist, keine Sorge haben müssen, dass dieser Anspruch durch den Arbeitgeber im Nachhinein gekürzt wird. Die Regelung schützt somit die Rechte der Arbeitnehmer und stellt sicher, dass ein bestehender Urlaubsanspruch auch dann vollumfänglich gewährt wird, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde.

 BAG, Urteil vom 16. April 2024, Az. 9 AZR 165/23

Körperreinigungszeit = Arbeitszeit?

Wer arbeitet, macht sich manchmal auch schmutzig – doch wie sieht es mit der Zeit aus, die für die Körperreinigung benötigt wird? Diese Frage beschäftigte das BAG im Jahr 2024. Im Fall eines Arbeitnehmers, der als Containermachaniker tätig war, entschied das BAG, dass die Zeit für das Duschen unter bestimmten Umständen als Arbeitszeit anzusehen ist. Ausschlaggebend für das Urteil war die Frage, ob der Arbeitnehmer während seiner Arbeit so verschmutzt wird, dass es ihm oder ihr unzumutbar wäre, ohne eine vorherige Reinigung nach Hause zu gehen. In diesem Fall entschied das BAG, dass die Körperreinigungszeit als Teil der Arbeitszeit betrachtet werden muss und somit auch vergütungspflichtig ist.

BAG, Urteil vom 23. April 2024, Az. 5 AZR 212/23; Vorinstanz: LAG Nürnberg, Urteil vom 6. Juni 2023, Az: 7 Sa 275/22

Recht auf Arbeitszeitreduzierung im Alter: Auch für Teilzeitbeschäftigte

Das BAG entschied kürzlich, dass Teilzeitbeschäftigte ebenfalls Anspruch auf eine altersbedingte Arbeitszeitverkürzung haben, auch wenn diese Regelung im Tarifvertrag ursprünglich nur für Vollzeitkräfte vorgesehen war. In einem konkreten Fall ging es um eine tarifvertragliche Bestimmung für Beschäftigte in der feinkeramischen Industrie, die älteren Arbeitnehmern (ab 58 Jahren) eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung von zwei Stunden bei vollem Lohnausgleich zugesteht – die sogenannte „Altersfreizeit“. Ziel dieser Regelung ist es, den gestiegenen Erholungsbedarf im Alter zu berücksichtigen.

Allerdings war diese Regelung zunächst nur für Vollzeitkräfte gedacht. Teilzeitbeschäftigte, die weniger als 38 Stunden pro Woche arbeiten, gingen leer aus. Eine Produktionshelferin, die in Teilzeit (20 Stunden pro Woche) in einem Industrieunternehmen tätig war und die Altersfreizeit nach ihrem 58. Geburtstag beanspruchen wollte, sah dies anders. Sie argumentierte, dass die tarifliche Regelung gegen das Benachteiligungsverbot verstoße, da Teilzeitkräfte vollständig von der Altersfreizeit ausgeschlossen wurden.

Das BAG stimmte ihr zu und urteilte, dass diese tarifvertragliche Regelung diskriminierend sei. Die Tatsache, dass Teilzeitbeschäftigte von der Altersfreizeit ausgeschlossen werden, berücksichtigt nicht die oft höheren außerberuflichen Belastungen, die Teilzeitkräfte tragen müssen. Das Gericht entschied, dass es keinen Grund gibt, warum diese Arbeitnehmergruppe nicht ebenfalls anteilig – je nach ihrer Arbeitszeit – von der Altersfreizeit profitieren sollte.

Der Arbeitgeber wurde daraufhin verpflichtet, der betroffenen Arbeitnehmerin für den betreffenden Zeitraum eine Stunde Altersfreizeit pro Woche nachzuzahlen. Damit wurde klargestellt, dass auch Teilzeitbeschäftigte Anspruch auf eine faire und proportionale Reduzierung ihrer Arbeitszeit im Alter haben.

BAG, Urteil vom 9. Juli 2024, Az. 9 AZR 296/20; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 7. November 2019, Az. 5 Sa 174/19 

Schadensersatzanspruch bei Verletzung der Zielvereinbarungspflicht

Wenn sich ein Arbeitgeber vertraglich verpflichtet, mit einem Arbeitnehmer Ziele für eine bestimmte Zielperiode zu vereinbaren, an deren Erreichung eine Bonus- oder Tantiemezahlung geknüpft ist, dann ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, mit dem Arbeitnehmer in Verhandlungen zu treten. Die vereinbarten Ziele müssen so festgelegt werden, dass der Arbeitnehmer in der Lage ist, auf deren Bestimmung Einfluss zu nehmen. Wird dieser Prozess einseitig vom Arbeitgeber bestimmt, ohne den Arbeitnehmer aktiv in die Zielvereinbarung einzubeziehen, verletzt der Arbeitgeber seine vertraglichen Pflichten. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer den entgangenen Bonus als Schadensersatz geltend machen.

Obwohl es einem Arbeitgeber grundsätzlich erlaubt ist, Ziele festzulegen, die der Arbeitnehmer erreichen muss, um eine erfolgsabhängige Vergütung zu erhalten, stellte das BAG klar, dass die vertragliche Verpflichtung, gemeinsam mit dem Arbeitnehmer Ziele zu vereinbaren, nicht durch eine einseitige Festlegung der Ziele ersetzt werden kann. Wenn der Arbeitgeber diese Verpflichtung verletzt, indem er dem Arbeitnehmer keine Möglichkeit gibt, Einfluss auf die Zielvereinbarung zu nehmen, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf den Bonus als Schadensersatz, da die Pflicht des Arbeitgebers schuldhaft verletzt wurde.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. Juli 2024, Az. 10 AZR 171/23; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 16. Januar 2023, Az. 5 Sa 14/22

 

Anspruch auf Feiertagszuschlag: Maßgeblich ist der regelmäßige Beschäftigungsort

Der Anspruch auf einen tariflichen Feiertagszuschlag hängt von dem Ort ab, an dem der Arbeitnehmer regelmäßig beschäftigt ist. Dies hat das BAG in einer Entscheidung für Beschäftigte des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder klargestellt. Ein Arbeitnehmer, der üblicherweise in Nordrhein-Westfalen tätig ist, hat auch dann Anspruch auf einen Feiertagszuschlag, wenn er an einem Feiertag in einem anderen Bundesland arbeitet, in dem kein gesetzlicher Feiertag gilt.

Der Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass nach den tarifvertraglichen Bestimmungen für den öffentlichen Dienst der Länder der regelmäßige Beschäftigungsort des Arbeitnehmers für die Berechnung des Anspruchs auf Feiertagszuschläge entscheidend ist. Im vorliegenden Fall war der Beschäftigungsort des Arbeitnehmers in Nordrhein-Westfalen, was den Anspruch auf den Feiertagszuschlag auch dann begründete, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Ort arbeitete, wo kein Feiertag galt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. August 2024, Az. 6 AZR 38/24; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 11. Januar 2024, Az. 11 Sa 936/23

 

BAG-Urteil: Tarifliche Regelung für Überstundenzuschläge benachteiligt Teilzeitkräfte

Das BAG hat entschieden, dass eine tarifliche Regelung, die Überstundenzuschläge nur für Stunden vorsieht, die über die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten hinausgehen, Teilzeitbeschäftigte benachteiligt. Diese Praxis wurde als Diskriminierung eingestuft, da sie zu einer mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung führen kann, da in vielen Teilzeitstellen überwiegend Frauen beschäftigt sind. Eine Pflegekraft, die in Teilzeit arbeitet, hatte geklagt, dass Überstundenzuschläge bereits dann fällig sein müssten, wenn ihre vertraglich vereinbarte Arbeitszeit überschritten wird, und nicht erst bei Überschreitung der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft.

Der EuGH hatte bereits klargestellt, dass solche Regelungen gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. Im konkreten Fall ging es um eine Pflegekraft, die 40 Prozent der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft arbeitete. Für ihre Überstunden wurde ihr keine entsprechende Vergütung gezahlt, was sie als Diskriminierung empfand. Der Arbeitgeber hatte sich auf den tariflichen Vertrag berufen, nach dem Überstunden nur dann vergütet werden, wenn sie über die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten hinausgingen.

Das BAG folgte der Auffassung des EuGH und entschied, dass eine solche Regelung unzulässig ist. Es gab keinen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung. Zudem wurde die Pflegekraft entschädigt, da sie durch die Regelung mittelbar aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt wurde. Mehr als 90 Prozent der Teilzeitbeschäftigten in ihrem Unternehmen waren Frauen, was die Diskriminierung durch diese tarifliche Praxis verdeutlichte.

Die Pflegekraft erhielt nicht nur eine Zeitgutschrift für ihre Überstunden, sondern auch eine Entschädigung von 250 Euro, um den immateriellen Schaden auszugleichen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 5. Dezember 2024, Az. 8 AZR 370/20;
Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2019, Az. 5 Sa 436/19

 

Diese Urteile verdeutlichen, wie wichtig es ist, aktuelle rechtliche Entwicklungen zu verfolgen, um die Interessen der Beschäftigten wirkungsvoll zu vertreten. Sie geben klare Handlungsansätze und schützen die Rechte der Arbeitnehmer auf verschiedenen Ebenen. Daher ist es entscheidend, dass Betriebs- und Personalräte sich regelmäßig über neue Entscheidungen informieren, um ihre Arbeit auf einer fundierten rechtlichen Basis fortzusetzen.

Die TTBS unterstützt euch dabei mit fachkundiger Beratung, Workshops, Inhouse-Schulungen, einer Vielzahl von Artikeln auf unserer Website und einem neuen Download-Bereich mit hilfreichem Material. Außerdem könnt ihr uns jetzt auch auf Instagram finden, um stets aktuell informiert zu bleiben.

 

Herzliche Grüße,

eure TTBS Thüringen

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